2.Kapitel

Mir gegenüber wohnt ein Mann, der von seiner Frau geschieden ist und immer wieder von seinem pubertierenden, aber schüchternen Sohn besucht wird. Dieser Nachbar heißt Herr Gipskegel. Ich bin mir nicht sicher ob er arbeitslos ist, oder Teilzeit beschäftigt, jedenfalls ist er seit einiger Zeit fast so viel zu Hause wie ich, und das will was heißen. Er ist Nichtraucher , schlank, trägt Locken und Brille und jedes Mal, wenn er vom Friseur kommt, tagelang eine Baseball Kappe. Er liebt es seine Einkäufe per Online Bestellung zu erledigen, doch schafft er es irgendwie nicht in den Minuten zu Hause zu sein, in denen die Post kommt. Ich dagegen bin immer da, sitze am späten Vormittag meistens mit meinem Kaffee im geöffneten Fenster und lasse mir die Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen. Deswegen wollen die Postboten mir immer seine Pakete überreichen. Früher habe ich die auch mal angenommen, um meinem Nachbarn einen kleinen Gefallen zu erweisen. Doch er fand das gar nicht lustig, sondern hat mich darum gebeten so etwas nie mehr wieder zu machen. Denn einmal merkte er ein paar Tage nicht, daß sein Paket bei mir war, weil der Postbote vergessen hatte, ihm eine Benachrichtigung in den Briefkasten zu werfen. Seitdem fühle ich mich bemüßigt allen Nachbarn, deren Pakete bei mir lagern, selber schnellstmöglich Bescheid zu sagen. Doch Herrn Gipskegels Pakete nehme ich gar nicht mehr an. Er will es wirklich nicht. Die Postboten allerdings drängen mir seine Pakete regelrecht auf und versuchen mich sogar auszutricksen. Zum Beispiel klingeln sie bei mir, damit ich ein Paket von einem anderen Nachbarn entgegen nehme. Während ich unterschreibe, ziehen sie dann aber schnell auch Herrn Gipskegels Pakete ab und stellen sie ihm vor die Tür. Herr Gipskegel schreibt mir dann empörte Briefe, was mir denn einfalle, daß ich ihm nun einfach die Pakete vor die Tür stelle…er erinnert mich mit dieser Reaktion ein bisschen an unseren kleinen Hund aus dem dritten Stock, der sich ja auch immer schrecklich aufregt. Ich dagegen bin eher so eine Katzendame. Wir habe uns deswegen mindestens drei Wochen lang nicht gegrüßt, aber heute habe ich gesehen, daß er mir heimlich zunickt. Er traut sich noch nicht, einfach so zu tun als ob nichts gewesen wäre und entschuldigen will er sich auch nicht. Macht nichts. Ich bin da relativ nachsichtig.