Kapitel 1

Ich lebe im Hochparterre. Zuerst war mir das fast zu öffentlich, denn wenn ich Abends die Lichter an drehe, kann man von der gegenüberliegenden Straßenseite durch meine ganze Wohnung hindurchschauen, falls ich die Badezimmer Tür nicht zu mache, sieht man sogar dort hinein. Ich muß also, wenn ich nicht gesehen werden will, die Läden schließen. Zu Beginn hatte ich sehr alte Holzfenster, die jedes Geräusch ungefiltert in meine Wohnung ließen. Ich hörte jedes Wort, das die Menschen im Vorübergehen sprachen und umgekehrt hörte auch jeder meine Gitarre. Inzwischen habe ich moderne Fenster mit Lärmschutz Klasse 1. Ein gewisses Abgrenzungsbedürfnis kann ich mir nicht abgewöhnen. Nun bestimme ich selbst, wie sehr ich mit der Außenwelt verbunden sein möchte. Manchmal sitze ich Abends bei geöffneten Fenstern auf dem Sofa und genieße die Schritte und die Stimmen, die an mir vorüberziehen. Wenn die Sonne scheint, trinke ich meinen Kaffee bei geöffnetem Fenster auf dem Fensterbrett.

Fenst1

Gegenüber befindet sich eine Fabrik. Bis heute weiß ich nicht, was dort fabriziert wird. Täglich kommen dort viele Lastwagen an. Außer der Fabrik gibt es noch einen Rewe und ein Asia Geschäft. Und ein paar Schritte weiter liegt ein thailändisches Restaurant neben einem Bistro-Cafe. Ansonsten wird unsere Straße vor allem zum Parken benutzt. Am Ende der Straße gibt es ein Areal mit Steinen zum Sitzen und einen Kinderspielplatz.

Mein Haus ist voller freundlicher Menschen. Die Nachbarn sind alle tolerant und hilfsbereit. Sie akzeptieren meine Musik. Wäre die Welt so friedlich wie unsere Hausgemeinschaft, könnte man an ein Paradies auf Erden denken. Trotzdem ist es bei uns nicht langweilig.

Denn, zumindest in der Tierwelt knistern die Emotionen: Mister Pinli ist ein kleiner Hund, der etwa so groß ist wie Rabbit, der allerdings trotz seines Namens kein Hase, sondern ein Kater ist. Mister Pinli muß die Treppen hinunter getragen werden. Er wohnt im dritten Stock und darf etwa zweimal am Tag kurz raus. Allerdings nur an der Leine. Noch ein Grund mehr, den fetten, weiß – ocker gefleckten Kater zu hassen. Rabbit dagegen hat eine Freundin, die ihn auf Distanz hält. Sie ist eine eher schlanke Katzendame und verteidigt das Revier unterhalb unseres Hauses gegen den Kater und noch einen Mops, der allerdings nicht wirklich zählt, da er meistens in Begleitung eines Menschen Gassi geht. Nur das orangene Eichhörnchen ist flinker als die Katzendame. Überhaupt scheinen die meisten Hunde sich hier relativ resigniert in ihr Leben an der Leine zu fügen. Nur Mister Pinli leider nicht, was sich in Form von wütendem Bellen äußert. Wir bedauern ihn alle, doch das scheint ihm nicht zu helfen.

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